Es ist nicht leicht, aber es ist machbar!

Eigentlich mag ich das Wort “Heilung” nicht so sehr, weil es so absolut klingt und Druck auslösen kann. Druck, dieses vermeintliche Endziel einer “vollständigen Heilung” erreichen zu müssen.

Dabei ist es selbst auf der körperlichen Ebene so, dass auch nach einer Heilung sichtbar bleibt, dass der Körper einmal ein Trauma erlebt hat. Egal ob es sich dabei um sichtbare Narben handelt oder darum, dass man beim Röntgen immer wird sehen können: “Da war mal ein Knochenbruch”.

Deshalb bevorzuge ich den Begriff Posttraumatisches Wachstum.
Wachstum ist machbar, egal wie kleinschrittig. Hier ist der Weg das Ziel und diesen Weg kann absolut jede Person beschreiten.

Egal was der Ausgangspunkt ist, egal wie gross das Gepäck ist: Wer das hier lesen kannst, kann wachsen. Und zu Wachstum zählt auch schon eine Verbesserung des aktuellen Zustands.

Aussschlaggebend für mich war damals die Erkenntnis, dass ein Trauma 1. eine richtige medizinische Diagnose und 2. nicht statisch ist.
Denn Trauma und PTBS sind keine endgültigen Diagnosen, mit denen man sich abfinden muss.

Doch zuerst einmal muss man wissen:

Ein Trauma ist nicht einfach ein Knacks in der Seele

Traumata lassen sich sogar im MRT erkennen. Man kann erkennen, dass das Gehirnareal, das für den Überlebensmodus zuständig ist, überentwickelt ist – im MRT sieht man es regelrecht blinken, wie Autobahnen bei Nacht, weil die neuronalen Bahnen so aktiv sind – und die Bereiche, die für Entspannung, Kreativität und sogar Intelligenz zuständig sind, können regelrecht verkümmert sein. Im MRT sind sie dunkel – wie eine unbeleuchtete Straße, die selten befahren wird.
Was die Auswirkungen auf das Gehirn angeht ist es völlig egal, ob du als Soldat im Kriegsgebiet unter Dauerstress stehst, weil du zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einem feindlichen Angriff rechnen musst.
Oder ob du ein Kind bist, das andauernd Angst haben muss vor Eltern oder sonstigen Erwachsenen, die dir jederzeit Gewalt antun oder übergriffig werden können. Oder wenn du nicht weisst, wann es das nächste Mal etwas zu essen gibt.

Einen Unterschied gibt es jedoch: Wenn ein Gehirn traumatisiert wird, während es sich in der Entwicklung befindet – besonders in den ersten drei Lebensjahren – sind die negativen Auswirkungen auf die Gehinentwicklung viel tiefgreifender und langfristiger. Denn die andauernde Stresshormon-Ausschüttung wirkt toxisch auf das kindliche Gehirn. In etwa so, als würde es dauernd gesundheitsschädlichen Gasen ausgesetzt sein.

Doch nicht nur die Psyche wird beeinflusst, auch der Körper und seine Gesundheit. Traumatisierungen in der Kindheit beeinflussen sogar die Knochendichte, erhöhen somit das Risiko für Knochenbrüche und auch für Diabetes und Herz- und Lungen-Erkrankungen. Also Erkrankungen, die man klassischerweise aktuell noch mit der Ernährung oder Rauchen in Verbindung bringt.

Die ACE-Studie ist die weltweit größte zu diesem Thema und hat 17.000 Menschen eine Rundum-Untersuchung verpasst, sowie sie 10 einfache Fragen beantworten lassen

Die schockierende Erkenntnis: Schon ab einem Score von mehr als 4 dieser belastenden Kindheitserlebnisse, kann man von massiven gesundheitlichen Schäden ausgehen bis dahin, dass man eine um 20 Jahre verringerte Lebenserwartung haben kann.

Und wo ist nun die gute Nachricht? Die finden wir in den Neurowissenschaften!

Unser Gehirn kann sich ein Leben lang verändern

Das pawlowsche Experiment dürfte den meisten bekannt sein. Der gute Mann hat jedes Mal einem Hund zu fressen gegeben, wenn er eine Glocke geklingelt hat. Irgendwann begann der Hund, Speichel zu produzieren, wenn er die Glocke hörte – auch dann, wenn es nichts zu fressen gab.

Vereinfacht gesagt wurden also manche Menschen von ihren Erfahrungen dazu konditioniert, in eigentlich normalen Situationen in Panik oder Schockstarre zu verfallen. Diese Trigger können bestimmte Sätze sein, Gerüche, das Aussehen des Gegenübers. So inflationär wie Triggerwarnungen mittlerweile verwendet werden könnte man meinen, dass nur “schlimme Themen” Trigger sind. Doch die meisten Trigger sind überhaupt nicht offensichtlich und auch nicht für alle Menschen mit Traumaerfahrungen gleich. Das Parfüm, das ein Täter getragen hat, kann logischerweise für jemand anderen einfach nur ein guter Duft sein.

Wichtig ist, dass man sortiert, welche Reaktionen “normal” sind und welche einen so sehr belasten, dass man sie eigentlich gern ändern würde. Das war für mich der schwierigste Teil der Arbeit. Etwas, das viele Betroffene kennen, möchte ich an dieser Stelle als Beispiel aus meiner eigenen Geschichte beschreiben: Ich war immer extrem sensibel dafür, Stimmungen aller Erwachsenen um mich herum wahrzunehmen, um drohende Gewaltausbrüche erkennen und eventuell abschwächen zu können. In meiner Kindheit machte das absolut Sinn. Doch in meinem Erwachsenenleben, in äußerer Sicherheit, machte mir diese Fähigkeit das Leben unnötig schwer. So konnte es sein, dass es mich einen ganzen Tag lang mental beschäftigt hat, wenn ein Nachbar aus was für Gründen auch immer schlecht drauf war und mich nicht wie sonst freundlich gegrüßt hat. Sofort ging die altbekannte Gedanken-Maschienerie los: Wieso guckt er so? Was habe ich falsch gemacht? Was kann ich tun, damit er besser drauf ist?

Aber ich habe es geschafft, nicht mehr alles sofort auf mich zu beziehen und Stimmungen zu überinterpretieren. Heute bin ich viel besser darin, bei mir selbst zu bleiben, egal in welchen Stimmungsschwanken sich die Menschen um mich herum befinden. Das macht das Leben deutlich energiesparender!

Um beim Straßen-Bild zu bleiben: Man kann also mit etwas Arbeit der Autobahn peu a peu das Licht abschalten und fünf der sechs Spuren schließen. Und gleichzeitig kann man die wenig befahrenen Straßen zu Autobahnen ausbauen.

Das Überlebenszentrum hat ja durchaus seine Berechtigung. Aber wir können ihm quasi wieder beibringen nur dann anzuspringen, wenn wir wirklich vor einem Bären flüchten müssen oder wenn es gerade brennt. Und eben nicht, wenn wir in einem Streit stecken, der uns an früher erinnert. Und die anderen Gehirnareale, die das Leben schön machen, kann man genauso trainieren.

Mit welchen Mitteln, das bleibt jedem selbst überlassen. Auswahl gibt es viel und manches muss man einfach ausprobieren und evtl. auch wieder verwerfen. Grundsätzlich gilt: Wer heilt, hat Recht.

An dieser Stelle möchte ich ein paar der Tools vorstellen, die mir auf meinem Weg geholfen haben:

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