Fake it ´till you make it

Wenn man weiss, dass etwas “richtig” ist, dann kann man warten, bis man es wirklich fühlt und zu 100% von sich selbst überzeugt ist. Oder man macht es einfach. Fast alle Menschen kennen Ängste. Kaum jemand ist nicht vor einem Vortrag aufgeregt. Und wer sich mit einer PTBS oder Angststörungen herumschlagen muss, für den fühlt sich vielleicht schon ein Telefonat so an, wie für jemand anderes ein Vortrag vor hunderten Menschen. Schauspieler*innen tun die ganze Zeit so, als ob. Und wenn wir Filme schauen, dann nehmen wir ihnen ihre Rollen ab. Wir leiden und lachen mit und vergessen bei guten Filmen, dass das alles ja gar nicht “echt” ist. Und diesen Effekt, den können wir uns auch zunutze machen.

Wer sagt zum Beispiel, dass man sich das, was man am Telefon sagen möchte, nicht vorher aufschreiben und dann einfach ablesen kann? Oder man kann seine Eingangssätze auch vor dem Spiegel üben: Guten Tag, mein Name ist xy, ich rufe an, weil ich eine Frage zu Bescheid xy habe. Können sie mir da weiterhelfen?” Sich aktiv seinen Ängsten zu stellen ist jedenfalls weitaus effektiver, als sich stundenlang vorher in eine Panik reinzusteigern und dann trotzdem unvorbereitet in ein Gespräch zu gehen.
Für manche hilft auch die “Flucht nach vorn”, indem sie mit ihrer Diagnose offen umgehen und ihr Gegenüber vor einem Gespräch darüber informieren. Dann kann man sagen: Nur für Sie zur Information, ich leide unter einer Angststörung und ich habe total Schwierigkeiten solche Telefonate zu führen. Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich ins Stottern gerate oder den Faden verliere.” Die meisten Menschen reagieren erstaunlich positiv auf so eine Offenheit. Und letzten Endes ist es auch nichts anderes, als hätte man eine körperliche Behinderung und würde vorher deutlich machen: Ich bin im Rollstuhl unterwegs und brauche eine Rampe. So trägt man übrigens auch ganz nebenbei zur Entstigmatisierung bei.

Um ein anderes Beispiel zu nennen, bei dem “schauspielern” helfen kann: Viele Betroffene, die selbst Kinder haben, kennen das Phänomen. Man musste sich selbst als Kind so oft zusammen reissen und hat so oft in Not keinen Trost erfahren, dass man sich selbst schwer damit tut, seine eigenen Kinder zu trösten. Hier hilft, es sich zu sagen: Ich fühle mich zwar nicht danach, aber ich weiß, wie ein Elternteil eigentlich trösten sollen könnte – auch wenn ich das nie selbst erlebt habe als Kind. Und nun gehe ich hin und tröste so, wie ich es mir als Kind gewünscht hätte.

Es ist übrigens völlig egal, ob sich das zu Beginn alles etwas steif anfühlt und – nunja – geschauspielert. Das ist immer noch besser, als gar nicht oder falsch zu reagieren! Hier hilft wieder das Wissen: Mein Gehirn wurde falsch trainiert und ich trainiere jetzt dagegen an.

Wenn man seine Muskeln trainiert, gibt man ja auch nicht beim ersten Muskelkater auf, im Gegenteil: Man weiss, dass das Unwohlsein dazu gehört. Irgendwann haben sich die Muskeln an die Beanspruchung gewöhnt und die 10 Kilo, die einen am Anfang noch haben zittern lassen, gehen irgendwann ganz leicht von der Hand. Versprochen: Wenn man die Dinge, vor denen man Angst hat oder die Unbehagen auslösen, oft genug übt, werden sie sich irgendwann normal anfühlen!

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